Fridays for Future – welche Zukunft?

von Joachim Hirsch

Der Charakter sozialer Bewegungen hat sich in den letzten Jahren verändert. Das hängt sehr stark mit den neuen Mobilisierungsmöglichkeiten zusammen, die das Internet bietet und die keinen größeren finanziellen und organisatorischen Aufwand erfordern. Dazu kommt, dass sich die ökonomischen und politischen Konstellationen erheblich verschoben haben. Die Zumutungen, die die neoliberale Kapitaloffensive seit den achtziger Jahren über die Menschen brachte, hat in vielen Fällen zu z.T. recht radikalen Protesten gegen „die da oben“, d.h. das regierende Personal geführt, die sich nicht mehr so einfach in das traditionelle Rechts-Links-Schema einordnen lassen. Jüngste Beispiele sind etwa die Ereignisse in Chile oder Frankreich mit der Gelbwestenbewegung beziehungsweise der neuesten Kampagne gegen Macrons Rentenpolitik. Wer das mit dem Schlagwort „Populismus“ abtut verkennt indessen, dass dies eine Reaktion auf die Aushöhlung der liberalen Demokratie ist, die durch die entfesselten Finanz- und Kaptalmärkte verursacht  wurde und dazu führt, dass die Regierenden auf fundamentale die Interessen der Menschen immer weniger Rücksicht nehmen.

In Deutschland, wo massenhafter Protest ohnehin eher Seltenheitswert hat, war davon nichts zu spüren. Allerdings gab es angesichts des hierzulande von der großen Koalition praktizierten Neoliberalismus light dafür auch weniger offensichtlichen Anlass. Wogegen die Gewerkschaften in Frankreich kämpfen, ist in Deutschland längst Realität. Die „Fridays for Future“ haben jedoch auch hier erheblichen Zulauf und große Medienresonanz erhalten. Die Mobilisierung  reicht inzwischen über eine Schüler*innenbewegung hinaus. Andere Gruppen, insbesondere auch aus Intellektuellen- und Künstlerkreisen sind teilweise mit etwas radikaleren Aktionen des zivilen Ungehorsams dazu gestoßen. Hoch ist auch das Engagement von Wissenschaftler*innen,  was wohl damit zusammenhängt, dass deren Erkenntnisse von der Politik systematisch missachtet werden. Im Vergleich zu früheren Bewegungen, etwa der Anti-AKW, der Frauen- oder der Friedensbewegung hat sich der Horizont deutlich ausgeweitet. Das Klima ist nicht nur in den Slogans, sondern tatsächlich zu einer Menschheitsfrage geworden. Das bedeutet eine neue Qualität, weil die herrschende Form der Vergesellschaftung insgesamt in Frage steht. 

Es geht dabei um das, was Ulrich Brand und Markus Wissen als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen, also den gesellschaftlichen Komplex, der den seit dem 19.Jahrhundert sich ausdehnenden und global durchgesetzten fossilen Kapitalismus charakterisiert, von Produktion, Konsum, Raumordnung  und Mobilität bis hin zu den darauf ruhenden sozialen Beziehungen. Die Folgen des insbesondere von den kapitalistischen Zentren verursachten CO2-Ausststoßes betreffen zwar stärker die Peripherie, machen sich aber auch bei den eigentlichen Verursachern immer deutlicher bemerkbar. Im Gegensatz zu dem von verheerenden Buschbränden heimgesuchten Australien wird hierzulande das Problem immerhin allgemein und parteiübergreifend anerkannt – von der AfD einmal abgesehen. Bei der Industrie  ist das allerdings noch nicht so richtig angekommen, wie jüngst der Fall Siemens gezeigt hat.

Die Lage wird durch eine starke Verschiebung der globalen Machtverhältnisse verkompliziert. Diese ist vor allem durch den Aufstieg Chinas und den Niedergang der USA als global bestimmende Hegemonialmacht gekennzeichnet, zumindest was den Anspruch angeht, eine weltpolitische Führungsrolle einzunehmen und dafür auch Konzessionen zu machen. Die Trump-Regierung mit ihrer Politik des „America First“ ist ein Ausdruck dieses Niedergangs und beschleunigt diesen weiter. Eine umfassend herrschende und zugleich kooperativ agierende Macht, die für eine neue Weltordnung eintreten könnte, existiert nicht mehr. Dies und das mit der Krise des Neoliberalismus und dessen Globalisierungsmantra verbundene, weltweit zu verzeichnende Aufblühen nationalistischer Strömungen macht internationale regulative Abkommen schwieriger, die notwendig wären, um den Klimawandel zumindest zu stoppen. Das hat sich wieder bei der letzten Weltklimakonferenz in Madrid gezeigt, wo ein etwas konkreteres  und verbindlicheres Abkommen nicht zuletzt am Widerstand der USA und ähnlich gestrickter Regierungen wie die Australiens oder Brasiliens gescheitert ist.

Die sich immer stärker zeigenden Folgen des Klimawandels machen deutlich, dass wir vor einer Art Zeitenwende stehen. Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen sind unvermeidlich. Es geht dabei sowohl um die herrschende Lebensweise vor allem in den Zentren als auch um die internationalen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse. Wohin die Entwicklung gehen wird, ist – wie die Auseinandersetzungen sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene zeigen – heftig umkämpft und in diesem Zusammenhang spielen die Klimabewegungen wie Fridays for Future eine wichtige Rolle.

Die Frage ist allerdings, wohin sich diese entwickeln und was ihre Ziele sind. Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, sagt zunächst nicht allzu viel. Man kann sich natürlich damit begnügen, den CO2-Ausstoß etwas zu verringern, z.B. durch Förderung der Elektromobilität, was allerdings die Verkehrsverhältnisse, die Zersiedelung der Landschaft, die Stadt-Land-Gegensätze und die Überfüllung von Ballungsräumen nicht verändert, ganz abgesehen davon, dass der CO2-Effekt dieser Technik eher fragwürdig ist. Man kann Kohle- und Gaskraftwerke durch Wind- und Solaranlagen ersetzen, was aber den Energieverbrauch nicht einschränkt. Der von den sich ausbreitenden Streamingdiensten verursachte Stromverbrauch übersteigt inzwischen denjenigen kleinerer Staaten. Inzwischen kommt auch hierzulande wieder die Debatte um die (Wieder-) Einführung der Atomkraft auf, die zwar klimaneutral, aber höchst gefährlich ist und zumindest spätere Generationen mit unabsehbaren Folgen belastet. Oder man kann den Kohlendioxydausstoß durch Emissionszertifikate mit einer Abgabe belasten, was allerdings unter Umständen zu Lasten peripherer Länder geht, weil sich die Zentren damit freikaufen können. Ob höhere Benzinpreise die Leute davon abhalten werden, weiter Autos zu benutzen, kann bezweifelt werden.  Man kann klimaresistentere Bäume pflanzen, Dämme gegen den steigenden Meeresspiegel bauen, den Klimaflüchtlingen ein klein wenig helfen und anderes mehr. Das „Klimapaket“ der Bundesregierung zielt in diese Richtung, ist aber nach Ansicht aller Fachleute völlig ungenügend. Das gilt auch für den jetzt vereinbartenAusstieg aus der Braunkohleverstromung.  Der von der neuen EU-Kommissionspräsidentin groß angekündigte „European Green Deal“ hat ebenfalls diesen Charakter. Es geht dabei darum, durch Drehen an einigen Stellschrauben die herrschende Lebensweise abzusichern, ohne das System in Frage zu stellen. „Feinarbeit am Kapitalismus“ also, wie die Süddeutsche Zeitung recht zutreffend das neue Wirtschaftsprogramm der GRÜNEN bezeichnet hat.

An sich könnte die Klimakrise die Chance für eine grundlegende, emanzipative und nachhaltige Veränderung der Produktions- und Lebensweise eröffnen. Das würde aber bedeuten, die Kapitalismusfrage ernsthaft zu stellen. In dieser Beziehung erscheinen die aktuellen Bewegungen etwas diffus. Derzeit ist offen, ob sie sich gesellschaftspolitisch radikalisieren werden oder gar Starrummel und medienwirksame Events – wie etwa die geplante Veranstaltung im Berliner Olympiastadion – die Oberhand gewinnen werden. Das mindert nicht ihre Bedeutung, einen dringend notwendigen und massiven Druck auf die Politik auszuüben, die ansonsten im Geflecht mächtiger Interessen weitgehend im Stillstand verharren würde. Hier wird wieder einmal deutlich, dass Politikwechsel in emanzipativer Richtung ohne den „Druck der Straße“ kaum stattfinden. Es könnte sich allerdings herausstellen, dass sich ihre Bedeutung darin erschöpft, den Kapitalismus vorläufig vor seinem Untergang gerettet zu haben, so wie es die Arbeiterbewegung im vergangenen Jahrhundert getan hat, als sie das Kapital daran gehindert hat, die Arbeitskraft, also die Quelle von Mehrwert und Profit zu ruinieren. Heute geht es noch weiter gehend  um die Naturgrundlagen des menschlichen Lebens insgesamt.

Eine Schwäche der aktuellen Bewegungen liegt darin, dass sie in der Regel einen sehr lockeren und wesentlich über soziale Netzwerke mobilisierten Zusammenhang darstellen. Das schafft ein erhebliches Mobilisierungspotential für druckvolle demonstrative Aktionen, die gegebenenfalls die staatliche Politik beeinflussen. Eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse würde jedoch zivilgesellschaftliche Initiativen erfordern, die auf konkrete alternative Praktiken zielen. Es ginge darum, neue Produktions-, Konsum- und Vergesellschaftungsformen zu praktizieren, damit zu experimentieren und dafür  eine breitere Resonanz zu schaffen. Mit dem staatlichen Zwangsapparat ist dies nicht möglich. Mit dessen Hilfe können bestenfalls die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Handeln verbessert werden. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Klimabewegungen einem gewisser Etatismus verfallen, der verkennt , dass der bestehende Staatsapparat kein neutrales Instrument ist, das allen gesellschaftlichen Einflüssen offen steht, sondern einen Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses darstellt und in seiner Struktur und Funktionsweise darauf angelegt ist, dieses zu erhalten. Es ginge also um „radikalen Reformismus“, der über systemimmanente Reformen hinausgeht und sich auf die grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen, Verhaltensweisen und Wertorientierungen richtet. Darauf  hatte etwa die (alte) Frauenbewegung mit ihrem „das Private ist politisch“ abgezielt.

Momentan ist noch offen, ob die Bewegungen diese Wende nehmen werden. Zwar segelt Greta Thunberg medienwirksam mit einem Segelschiff über den Atlantik – wenn sie nicht gerade in einem überfüllten Zug der Deutschen Bahn auf dem Boden sitzt. Gerade ihrem Engagement ist es jedoch sehr wesentlich zu verdanken, dass die Klimabewegung in Gang gekommen ist. Eben dies ließ sie zum bevorzugten Hassobjekt der Klimaleugner werden. Allerdings  beschränkt sich die Resonanz der Bewegungen noch auf liberale Medien und die damit verbundenen sozialen Milieus. Denn immer noch sind die SUVs ein Verkaufsschlager, werden Pappbecher ebenso gerne benutzt wie Fernreisen angetreten. Das deutet darauf hin, dass eine breitere Resonanz in der Bevölkerung noch aussteht. Das allerdings braucht seine Zeit, wie die Erfahrungen mit der früheren Umweltbewegung lehren.  

Die diffuse Form der Mobilisierung führt dazu, dass es in der Bewegung sehr unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Orientierungen gibt. Das gilt insbesondere für  die Frage, wie es mit dem Kapitalismus zu halten ist. Viel wird also davon abhängen, ob es in den Bewegungen gelingt, von der Demonstration zu konkreten alternativen gesellschaftlichen Praxen überzugehen. Das würde unter anderem auch veränderte Organisationsformen voraussetzen, so wie sie in den traditionellen Bewegungen einmal praktiziert wurden. Dass die „imperiale Lebensweise gerade dort ein großes Thema ist, lässt hoffen. Und sie zeigen sich insgesamt bemerkenswert offen für kritische Argumente.